Psyche und Immunsystem
Für viele ist es durch eigene Erfahrung offensichtlich: Steht man viel unter Stress und Druck, dann leidet das Immunsystem darunter und man wird anfälliger für Infekte. Das Fachgebiet "Psychoneuroimmunologie" kann mittlerweile schon ziemlich gut beschreiben, wie die Zusammenhänge zwischen Immunsystem, Nervensystem und den Hormonen als zelluläre Vermittler, ablaufen. Eine erhöhte Infektanfälligkeit bei hoher Stressbelastung ist gut belegt. Besonders Atemwegsinfektionen lassen sich gut in Zusammenhang zu Stressbelastungen setzen. Die Stoffwechselwege, die dahinter stehen, sind allerdings äußerst komplex.
Unser Körper hat sich so entwickelt, dass er in bedrohlichen Situationen seine Leistung vorübergehend steigern kann, um der Gefahr mit maximaler körperlicher Leistung zu begegnen. Situationen, die psychisch als Belastung wahrgenommen werden, führen zu einer erhöhten Freisetzung von Stresshormonen wie Adrenalin. Dadurch kommt es zu vielfältigen physiologischen Veränderungen: Die Blutgefäße verengen sich, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck erhöht sich, die Durchblutung von Muskeln und Gehirn steigt, die Atemwege weiten sich und die Lunge kann mehr Sauerstoff aufnehmen. Das Hormon Cortisol lenkt den Stoffwechsel so, dass mehr Energie für diese Prozesse bereitgestellt werden kann.
Jedoch haben all diese Reaktionen seinen Preis. Die Immunabwehr wird zur gleichen Zeit unterdrückt. Die Strategie: Zunächst soll der Körper die unmittelbare Gefahr überleben, um Infekte kann sich der Körper noch später kümmern, wenn er überlebt hat. Ist der Stress vorüber, normalisiert sich der Stoffwechsel wieder.
Die Leistung des Immunsystems wird stark gebremst. Gehemmt wird u.a. die Cytokin-Produktion, die Reaktion von T- und B-Lymphozyten und natürlichen Killerzellen. Antikörper vom Typ Immunglobulin IgA, die u.a. im Speichel, Nasenschleim, und Lungensekret vorhanden sind, binden fremde Erreger wie Bakterien und Viren und aktivieren Entzündungsreaktionen. Experimente haben gezeigt, dass bei Stress die Konzentration von IgA reduziert wird. Allerdings, der Körper weiß oft nicht wann die Gefahr überstanden ist weil die körperliche "Entladung" nicht stattgefunden hat. Deshalb ist es durchaus sinnvoll nach psychisch wahrgenommenem Stress mit körperlicher sportlicher Tätigkeit die Anspannung abzubauen. Dann weiß der Körper, der Kampf bzw. die Gefahr ist vorüber, jetzt kann es wieder mit Normalität weiter gehen.
Länger anhaltender chronischer Stress
Ein einzelner stressiger Tag mit nachfolgender Erholung ist wenig problematisch, da es normales Programm für den Körper ist. Ein dauerhaftes "unter-Strom-stehen" ist aber schädigend und hinterlässt Spuren in unserer Physiologie. Bei dauerhaftem Stress gerät der Stoffwechsel durcheinander und das Immunsystem reagiert dann weniger effizient. Bei einem Versuch mit virenversetztem Nasenspray konnte gezeigt werden, dass bei chronisch gestressten Versuchsteilnehmern das Immunsystem so beeinträchtigt war das sie anfälliger für eine Vireninfektion wurden.
Soziales Sicherheitsgefühl und Immunsystem
Viele spüren es intuitiv: Im Freundeskreis und bei der Familie fühlt man sich meist gut aufgehoben und ist entspannt. Der Mensch war schon immer ein "Herdentier", der in kleinen kooperierenden Gruppen am besten überleben konnte. Tatsächlich führt diese Wahrnehmung der sozialen Situation auch zu physiologischen Änderungen. Die Evolutionspsychologie liefert hier erstaunliche Erklärungen.
Soziale Isolation führte während unserer Entstehungsgeschichte meist zu erhöhtem Risiko für Wunden (Gefahr durch Wildtiere oder andere Übeltäter) während in der Gruppe Schutz gegeben war. Für diesem Fall ist eine gute Entzündungsreaktion von Vorteil, um eindringende Wundkeime abzuwehren und die Wundheilung zu beschleunigen. Die Immunzellen passen ihre Aktivität in Richtung einer schnellen und starken Entzündungsreaktion an. Die Gehalte der entzündungsfördernden Cytokine wie IL-6 (Interleukin 6), IL-8, TNF-alpha steigen.
Dagegen schützte die Gruppe in der Regel vor physischen Gefahren und die Wahrscheinlichkeit auf Wunden nimmt ab. Allerdings führten die gesteigerten Kontakte innerhalb der Gruppe zu einer höheren Gefahr von Ansteckungen durch Krankheiten. Deshalb kommt es in dieser wahrgenommen Situation der Gruppenzugehörigkeit zu einer Anpassung der Zusammensetzung der Immunzellen in Richtung einer stärkeren mikrobiellen und antiviralen Abwehr. Die Aktivität von Interferonen, die wichtig bei der viralen Abwehr sind, wird gesteigert.
So weit war das ganz praktisch eingestellt. Aber heute passt diese Anpassung oft nicht mehr. Viele leben in überfüllten Städten und fühlen sich doch einsam, da es uns bei den vielen Kontakten oft überfordert die evolutionär optimale Kleingruppe und Zusammengehörigkeit zu finden. Oberflächliche Kontakte vermitteln und bieten uns nicht die Sicherheit. So kommt es durch dieses Gefühl zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Immunsystems Richtung entzündungsfördernde Antwort und verminderte antivirale Abwehr. Eine schlechte Kombination wenn es dann im Gedränge der Stadt zu einer Infektion mit dem Coronavirus kommt, der im schweren Verlauf selbst eine überschießende Entzündungsreaktion auslösen kann.
Versuche bestätigen diesen Zusammenhang. Bei künstlichen Infektionen mit Rhinoviren (relativ harmlose Erkältung) war die Widerstandskraft um so stärker und der Verlauf der Erkrankung um so schwächer, je besser die Teilnehmer der Studie in ein positives soziales Umfeld eingebunden waren. Auch die Antikörperreaktion auf eine Impfung war um so besser je stärker das soziale Netzwerk ausgeprägt war.
In Zeiten von Lockdown und Einschränkung sozialer Kontakte ist es nicht immer einfach ein soziales Wohlbefinden zu erhalten. Entscheidend ist das Gefühl und die Wahrnehmung, nicht der tatsächlich physische Kontakt und das Gegenüber. Mit Telefon und den Möglichkeiten des Internets lassen sich kreative Wege finden in Kontakt zu bleiben.